Schall und Rauch
Monday, October 12th, 2009 | Author: Christian
Manche Menschen hinterlassen durch wenige Momente oder einmalige/seltene Aktionen in ihrem Umfeld einen bleibenden Eindruck. Freiwillig oder unfreiwillig. Meistens unfreiwillig. Und ohne dass sie davon Kenntnis erhalten würden.
Oft auch nur bei einer überschaubaren Menge von Menschen. Andere haben dann vielleicht eine ganz andere Meinung über die betreffenden Personen, weil sie gewisse Dinge eben nicht mitbekommen haben.
Im Haus gegenüber wohnen diverse Leute. Dieses Haus ist lediglich ca. 20 10 Meter entfernt. Entsprechend gut kann man sich gegenseitig ganz gut sehen, wenn man das will.
Man will das in den seltensten Fällen, aber einmal aus dem Fenster geschaut und schon hat man was gesehen. Ob man will oder nicht.
Zum Beispiel den Ficker. Er heißt so, seit er sich im Sommer einmal lautstark zusammen mit einer Dame beim…ja, Geschlechtsverkehr vergnügte. Bei offener Balkontür, gekipptem Fenster und ohne Gardinen jeglicher Art. Unsere Wohnung liegt ein bisschen höher, so dass man, von einer zunächst nur irritierenden Geräuschkulisse gelenkt, unwillkürlich einen Blick auf ein Sofa mit zwei, sich darauf betätigenden Menschen erhaschte.
Fortan hieß der junge Mann eben nur noch ‘der Ficker’. Und seine schon schmerzhaft klischeebedienend solariumgetoastete und wasserstoffblondierte Partnerin war ‘die Schnalle’. Letzteres ist sicherlich nicht frei von Vorurteilen – vielleicht macht sie an der TU soeben ihren Doktor in Wirtschaftswissenschaften, wer weiß das schon. Aber solange man sich auf Äußerlichkeiten beschränkt, bilden die eben eine Meinung.
Zumal besagte Dame sich in der Folge des Sommers des Öfteren nur mit einem Herrenoberhemd bekleidet, einer Kippe und einer Tasse auf dem Balkon verlustierte. (“Seht her, ich sitze hier mit dem Hemd, das ich meinem Stecher grad noch vom Leib gerissen habe, bei der Zigarette danach!”)
Oder rechts daneben. Ein Mann in mittlerem Alter. Und eine Couch. Diese Couch war sein Habitat. Womit der seinen Lebensunterhalt bestritt, blieb bis zuletzt ein Rätsel. Bei 75 von 100 Gelegenheiten bei denen man den dort in seiner Wohnung (Keinerlei Gardinen. An keinem Fenster.) sah, saß er auf seinem Sofa und blickte (vermutlich) zum Fernseher. Gerne auch nur mit T-Shirt oder Unterhose bekleidet.
Genau.
Oder.
Keine Gardinen.
Dann und wann erweiterte eine vermutlich gleichaltrige Dame das Bild, die dann irritierend oft (aber immerhin relativ vollständig bekleidet) dort ihre Pediküre erledigte.
Nachts lag der Mann auf dem Sofa und schlief(?). Flackernd blau beleuchtet vom Fernseher. Die Wohnung hatte noch mindestens ein weiteres Zimmer. Er lag auf dem Sofa.
Er war der ‘Couch-Potato’. Treffenderweise besetzt Wikipedia diesen Begriff neben den andauernden Aufenthalten auf bequemen Sitzmöbeln auch mit Übergewicht und einer ungepflegten Erscheinung. Beides traf in Maßen auch hier zu.
Der Mann ist mitsamt seiner Couch und der bisweilen anwesenden Dame jüngst ausgezogen. Wohnung und Nachmieter werden mindestens bis zu einem neuen, namensgebenden Anlass ihr Couch-Potato-Label behalten.
Oben drüber, das Penthouse. Genauer gesagt zwei, aber zunächst Nummer eins. Dort wohnten ‘die Amerikaner’ oder kürzer ‘die Amis’. Wir wissen natürlich nicht ob diese Menschen (ebenfalls jüngst ausgezogen) Amerikaner waren bzw. sind. Denkbar wäre es anhand von diversen Merkmalen. Es wurde viel und laut englisch gesprochen. Auf der großzügigen Dachterrasse wandelte man schon mal in der Uniform der US-amerikanischen Streitkräfte umher. Von denen gab es hier eine Menge – die Stadt weist mehrere entsprechende Kasernen der Besatzungstruppen auf. Genauer gesagt: Wies sie auf. Die Gelände und Gebäude sind noch da, die Amerikaner aber unlängst alle abgezogen. Nach Hause, nach Wiesbaden, nach Heidelberg, wohin auch immer. Passend dazu, ist besagte Wohnung frei geworden.
Nun hatten die Bewohner möglicherweise nur ab und zu mal Besuch von Menschen die der englischen Sprache mächtig sind. Und möglicherweise war auch mal ein GI darunter. Trotzdem ist der Eindruck der ‘Amerikaner’ geblieben. Und wird es wie beim Couch-Potato erstmal auch für die Nachmieter tun.
So wie die neuen Bewohner des anderen Penthouse-Teils vermutlich auch erstmal die Nachmieter der ‘Radfahrer’ sein werden.
Dort hat bis vor Kurzem (Es scheint eine schweres und hochgradig ansteckendes Auszieh-Syndrom vorzuliegen – oder die Leute wollten einfach nicht länger von ihren Nachbarn beobachtet werden.) ein Paar gewohnt. Nach dem, was man so mitbekommen hat, eher sportlich unterwegs. Auf meinem ehemaligen (Fuß)Weg zur Arbeit ist sie (also…sie) mir des Öfteren noch bei morgendlicher Dunkelheit (Im Sommer – wer da morgens im Dunkeln sportelt, meint es ja schon ernst.) laufenderweise begegnet. Inklusive großem schwarzen Hund der brav an einer Leine nebenher tappelte. Er (also …er, nicht der Hund) zeigte sich anfangs auf der Dachterrasse in einer Montur die geradezu “Ich fahre jeden Tag die Tour dé France!” in die Welt hinaus schrie. Nachdem sie (seine Partnerin) sich dann auch ähnlich ausstaffiert auf der Terrasse bewegte, hatten sie ihren Namen weg. ‘Die Radfahrer’. Dabei taten sie sicherlich auch viele andere Dinge außer radfahren. Höchstwahrscheinlich, sogar. Trotzdem waren sie auf immer ‘die Radfahrer’. Momentan sind die Nachmieter dabei, die Wohnung zu besetzen. Zunächst mit Farbe und Pinsel. Dabei hatte jüngst wohl jemand an den beiden Schaltern die sich (vermutlich wie bei uns, da gleiche Baufirma und ähnlicher Haustyp) neben der Terrassentür befinden, rumgefummelt und mindestens den für die Außenbeleuchtung in aktiviertem Zustand zurückgelassen. Diese Lampen sind recht hell und strahlten des nächtens wunderbar in unser Schlafzimmer. Und es waren die Lampen von ‘Radfahrers’. Obwohl die da gar nicht mehr wohnen. Der Name bleibt.
Zwei Etagen weiter unten. Dort wohnt ‘der kleine Lockenkopf’. Nicht allein natürlich, sondern mit seinen mutmaßlichen Eltern.
Er zeichnete sich im Sommer des letzten Jahres vor allem dadurch aus, dass er seinem geringen Alter entsprechend, sorglos allerhand Getöse auf dem Balkon veranstaltete und so auf sich aufmerksam machte. Und er hatte einen ganzen Kopf voller wuscheliger Haare zu bieten. Fortan war er eben ‘der Lockenkopf” Dieses Jahr sind die Haare noch da, nur nicht mehr so lang und nicht mehr lockig. Er ist aber mitunter noch ähnlich laut.
Und dieser Lärm kommt dann eben vom ‘Lockenkopf’. Manchmal auch mit dem Zusatz ‘der keiner mehr ist’. Aber auch er (und seine Eltern) haben ihren Namen weg. Für immer. Jedenfalls aus unserer Sicht.
Hoffentlich erfahre ich nie, wer oder was ich in den Augen der Nachbarschaft bin. Was ich nicht weiß…