Stress
Friday, November 23rd, 2012 | Author: Christian
Kürzlich irrlichterten Meldungen über die Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011/2012 durch die Medien. Aufhänger war die unfassbare Nachricht, dass ein Drittel der Schüler in zweiten und dritten Klassen sich von der Schule gestresst fühlen. (Stellvertretend hier der Spiegel.
Glücklicherweise war der Weg für diese neue Sau, die durch das Empörungsdorf getrieben wurde, relativ kurz und diese ‘Nachricht’ wurde schon bald wieder aus der Aufmerksamkeit der Medien entlassen.
Es geht schon damit los, dass diese Studie sich keineswegs nur um Stress dreht. Es ist eine Studie, die sich mit Gesundheit befasst. Dazu gehört nach aktueller Lehre fraglos auch Stress. Aber eben nicht nur. Es geht in der Studie auch um Ernährung, Bewegung und allgemein Gesundheit.
Man fragt sich, ob einer dieser Medienschmierfinken überhaupt auch nur einen Blick in die Studie riskiert hat, oder mit der drastisch verkürzten Agenturmeldung und dem enthaltenen Stress-Aufmacher schon völlig zufrieden war.
Denn alleine ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des 178-seitigen Dokumentes zeigt: Das Thema Stress ist mit nicht einmal 30 Seiten ein eher kleinerer Teil.
Aber selbstverständlich kann man damit viel mehr Aufregung erzielen. Denn dieser Stress ist etwas, das von Dritten an das arme Kind herangetragen wird. Die Eltern (und damit mithin das Publikum der Medien) können wenig bis nichts dagegen tun, wenn die böse Schule erbarmungslos auf die Kinder einprügelt und es sich doch wohl zum Ziel gemacht hat, ein diktatorisches Regime zu errichten. In dem Kinder zu knechten und härtesten Anforderungen auszusetzen sind. Auf dass sie zerbrechen mögen!
Wie ist denn das mit der Grundschule?
Wird dort völlig unmotiviert gequält? Als Selbstzweck? Sind die Lehrer jene Kerkermeister, als die sie mindestens von den armen gestressten Schülern (und erst Recht von deren Eltern!) wahrgenommen werden?
Oder kann Schule ohne ein gewisses Maß an Stress einfach nicht auskommen?
Wikipedia sagt (unter anderem):
Stress (engl. für “Druck, Anspannung”; lat. stringere: “anspannen”) bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung.
Stress hat eine evolutive Wirkung mit der Folge, dass Belastungen besser ertragen oder letztlich durch eine entsprechende Stresstoleranz neutralisiert werden. [...]
Eine Stressreaktion ist ein subjektiver Zustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation wahrscheinlich nicht vermieden werden kann. Dabei erwartet die Person, dass sie nicht in der Lage ist, die Situation zu beeinflussen oder durch Einsatz von Ressourcen zu bewältigen.
Unter Stress versteht man somit die Beanspruchung (Auswirkung der Belastungen auf den Menschen) durch Belastungen (objektive, von außen her auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren). [...]
Nun ist es so, dass den wenigsten Menschen der Kram einfach so zufliegt.
Das Mathebuch unterm Kopfkissen hat vor anstehenden Leistungsnachweisen noch nie geholfen.
Und dass gewisse Dinge manchen Menschen leichter fallen als anderen, ist kein Geheimnis. Aber jede “neue Anforderung” stellt nach der Definition Stress dar.
Die Kinder in der Grundschule lernen dort allerhand. Sie erfahren dort also Beanspruchung durch Belastungen. Die von außen her auf sie einwirken. Das Leben ist nun mal kein Ponyhof – und wenn es für eine schriftliche Betätigung (eine geradezu lächerlich grundlegende Alltagsanforderung an jeden Menschen) unausweichlich ist, dass Satzanfänge und Hauptwörter groß geschrieben werden, dass Wörter richtig geschrieben werden, dass die Buchstaben nicht vogelwild in der Zeile umher springen – dann ist das so.
Und dann kann das Erlernen dieser Dinge nicht als Stressquelle verteufelt werden.
Manche Dinge sind eben so. Und dazu gehört eben auch, dass Menschen Dinge können sollten. Um im Leben bestehen zu können. Lesen, schreiben und rechnen sind grundlegend. Dinge, die nun mal in der Grundschule vermittelt werden. Vermittelt werden müssen.
Das kann Spaß machen und leicht fallen. Oder eben nicht. Dann muss gelernt werden.
Tertium non datur, ein Drittes gibt es nicht.
Schreiben lernt sich nicht, indem lamentiert wird. Durch Übung allerdings schon. Und wenn ein Schüler üben muss, tut er das naturgemäß eher ungern. Denn die Notwendigkeit zeigt ja Defizite:
“Eine Stressreaktion ist ein subjektiver Zustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation wahrscheinlich nicht vermieden werden kann. Dabei erwartet die Person, dass sie nicht in der Lage ist, die Situation zu beeinflussen oder durch Einsatz von Ressourcen zu bewältigen.”
Man dreht sich hier im Kreis. Ohne Übung keine Verbesserung. Ohne Verbesserung kein Abbau des Stresspotentials.
(Ausgenommen hiervon natürlich erwiesene Fälle von Legasthenie als anerkannte Störung beim Erwerb der Schriftsprache.)
Vielleicht sollte einfach anerkannt werden, dass Schule fordert. Prinzipbedingt ist Schule für die Schüler permanent neues Terrain. Bis zum Abschluss. Und danach geht es in Ausbildung und/oder Studium weiter. Lernen bedeutet, neue Fähigkeiten zu erwerben. Durch mehr oder weniger harte Arbeit. Wer denkt, das klappt auch ohne Arbeit, ohne Aufmerksamkeit, ohne Konzentration, ohne Regeln, ohne (zu lösende) Probleme – der wird damit ordentlich auf die Nase fallen.
Solange Menschen nicht von Geburt an mit allem Wissen der Welt ausgestattet sind, werden sie im Lernprozess immer auch Stress erfahren. Manche mehr, manche weniger.
Aber Schule fordert nicht nur. Sie fördert auch. Die Kinder werden nicht mit einem Buch in einen Raum gesperrt und dann zur Absolvierung eines Tests über die Buchinhalte wieder rausgeholt.
Ich kann aus erster Hand bezeugen, dass einem Grundschüler mehr als nur eine Hand gereicht wird. Und ich kann mich bei aller Anstrengung nicht daran erinnern, dass meine Grundschulzeit mit der Menge an Hilfestellungen, Abwechslung und Auflockerung wie ich sie heute jeden Tag erlebe, gefüllt war.
(Allein schon das Angebot an Materialien jeder Art gab es systembedingt zu meiner Zeit in der SBZ nicht.)
Bei einer schlechten Leistung ist heute der Lehrer die erste Anlaufstelle der Eltern.
Meine Eltern haben das Problem damals grundsätzlich zunächst bei mir vermutet. Und meistens (wohl immer) Recht behalten.
Ein durchschnittlich begabter Schüler wird seine Leistungen (auf jeden Fall noch in der Grundschule) allermeistens durch Übung der Sache verbessern können. Dass er zu dieser Zeit nicht spielen kann, liegt auf der Hand.
Dass die Frage, ob ein Kind lieber lernt oder spielt, bei den allermeisten Kindern nur zu einer Antwort führt, liegt auch auf der Hand.
Und dass ein Kind, dem man ganz wunderbar den vielseitigen Begriff “Stress” präsentiert, diesen auch nutzt…nun ja. Dazu bräuchte es keine Studie.